Ich bin so gerne spät auf. Wenn die Tage wieder länger werden und die Straßen auch abends noch die Wärme der Sonne abgeben, wenn viele Verabredungen erst ab 20 Uhr und im Freien stattfinden, weil es endlich wieder länger hell ist und das Gelächter von dir und deinen Freunden das Sirren der Grillen und die Musik im Hintergrund fast übertönt – was könnte es schöneres geben?
An dieser Stelle, an der es idyllischer nicht sein könnte, schaltet sich dann sehr gerne mein Magen ein. Mit einem Knurren, das noch einmal gut fünf Dezibel höher ist als unsere Gespräche und die Musik teilt er allen um mich herum mit, was los ist: er ist leer, und er braucht Nachschub. Mein Magen hat definitiv das schlechteste Timing, das man sich vorstellen kann: das erste Knurren des Tages erfolgt morgens, wenn im Mathe-Unterricht alle schweigend (und verzweifelt) an ihren Aufgaben sitzen. An einem guten Tag kann ihn die Brezel aus dem Schulverkauf stillen, die allerdings nicht gerade einer Delikatesse entspricht. Spätestens auf der Busfahrt nach Hause, neben einem fremden Sitznachbar, geht der Spuk von vorne los und auch abends auf Partys fällt ihm gut und gerne mal ein, dass er heute noch nicht all zu viel zu essen bekommen hat. Wie stellt sich mein Magen das eigentlich vor? Dass ich zu jedem Zeitpunkt meines Lebens einen Kühlschrank hinter mir herziehe?
Besonders wenn ich unterwegs bin, etwa in der Stadt, sehe ich es nicht ein, jedes Mal ein Restaurant zu besuchen, wo ich neben dem bestellten Gericht auch Trinkgeld und in Ländern wie Italien zusätzlich noch das Gedeck bezahlen muss. Ganz abgesehen davon, dass häufig nicht einmal die Zeit dafür da ist, sich in Ruhe in ein Restaurant zu setzen. Besonders, wenn man zwar Hunger hat aber nichts allzu Großes und Schweres essen will kann sich die Suche nach dem optimalen Hungerstiller als sehr schwierig erweisen. Es muss doch eine Alternative geben, die der Schnelllebigkeit unserer Welt entspricht und uns das Leben versüßt – oder je nach angebotenen Gerichten auch versalzt.
Diese Alternative gibt es. Während sie in Deutschland erst in den letzten Jahren ständig an Bekanntheit gewinnt und ganze Menschenmassen anzieht, ist es in anderen Ländern, besonders Urlaubs- und asiatischen Ländern bereits völlige Normalität: Street Food, wörtlich übersetzt „Straßen-Essen“. Als Street Food werden Speisen und Getränke bezeichnet, die wir als Zwischenmahlzeit einnehmen – erworben von einem fahrbaren Verkaufsstand, einem Markt oder auch einem sogenannten Street Food Festival, bei dem unzählige Verkäufer auf einander treffen und ihre Waren verkaufen. Bei den Gerichten handelt es sich größtenteils um Finger Food, zu dessen Verzehr kein Tisch, Stuhl oder Besteck gebraucht wird.
Ein Imbisswagen ist keine Miniatur- Version eines Restaurants, sondern bietet viel mehr eine Alternative dazu. Doch woher kommt das Bedürfnis nach einer solchen Alternative? Vielleicht ist es tatsächlich diese Schnelllebigkeit, die in den letzten Jahren Einzug in unserer Gesellschaft gehalten hat. Jeder scheint stets auf dem Sprung zu sein – auf dem Sprung zu was auch immer. Dabei kommen Grundbedürfnisse wie Schlaf und Essen nicht selten zu kurz, was auch aktuelle Studien belegen.
Spät auf bin ich selbst oft genug, aber die Qualität meiner Nahrung ist mir persönlich dennoch wichtig. Auch Fast Food Ketten wie MC Donalds oder Burger King profitieren von der Entwicklung und Veränderung der Lebensform in den letzten Jahren. Das Sortiment unterscheidet sich jedoch
teilweise stark von dem der Street Food – Anbietern. Hier steht viel eher die regionale, saisonale und internationale Vielfalt im Mittelpunkt. Einige Stände beispielsweise bieten ausschließlich mexikanisches oder italienisches Essen an, andere wiederum fokussieren sich auf die Spezialitäten der jeweiligen Region, in der sie verkaufen.
Treffen mehrere dieser Stände aufeinander, beispielsweise bei einem Street Food Festival, entsteht ein ganz besonderes kulinarisches Erlebnis: ein Markt der Möglichkeiten, die Geschmäcker und Gerüchte der ganzen Welt vereint auf einem Platz. Weil die Gerichte meist nicht all zu groß und füllend sind, kann man sich von Stand zu Stand durchprobieren, sozusagen eine kulinarische Weltreise unternehmen, die jederzeit abgebrochen werden kann, wenn der Magen dann doch zu voll wird.
Es muss nicht immer die große weite Welt sein. Schwäbisches Street Food ist ebenfalls im Kommen – Kässpätzle, Rote Wurst und Schupfnudeln to go also. Viele Festgänger im Landkreis Sigmaringen dürften bereits einmal dem Grillgut-Truck der Bäckerei Bogenschütz begegnet sein. Darin verkauft René Bogenschütz gemeinsam mit seiner Familie alles, was das Schwabenherz begehrt. Street Food auf Schwäbisch lautet sein Slogan, seine Speisekarte beinhaltet neben Grillgut aller Art auch Pommes Frites, selbst hergestellte Kartoffelchips und Flammgut, auf Schwäbisch auch Dennete genannt.
Ein starker Kontrast zum Grillgut Truck, den meine Freunde und ich selbst in so mancher Mittagspause angesteuert haben, ist das Street Food, das man in asiatischen Ländern vorfindet. Auf meiner Reise nach Shanghai und XingPing im südchinesischen Gebirge 2016 bin ich dem Street Food-Trend praktisch an jeder Ecke begegnet. Sowohl in der Großstadt als auch im beschaulichen Dorf erfolgt in China ein Großteil der Nahrungszubereitung auf offener Straße. Das kann bereits beim Schlachten der Hühner beginnen, wobei ich weitere Details im Interesse aller besser außen vorlasse. Von Gemüse über Hühnerkrallen und lebendige Insekten kann man bei einem Streifzug durch die belebten Straßen nahezu alles entdecken.
Das wohl speziellste Street Food- Angebot aller Zeiten nahm ich wahr, als ich auf einer kleinen Landstraße von XingPing auf eine kleine, freundliche Frau traf, die auf meine Zustimmung (mein Chinesisch genügt genau fürs Ja-, Nein und Danke-sagen) ihr Messer zückte und mir aus dem an die Straße angrenzenden Zuckerrohrfeld sogleich ein Zuckerrohr erntete. So lief ich kurz darauf mit einem Zuckerrohr durch das Dorf, kaute auf der süßlichen Rinde des Zuckerrohrs herum und entsorgte die Reste anschließend dezent am Straßenrand – ein in XingPing absolut alltäglicher Vorgang. Auch wenn es sich zu Beginn etwas seltsam anfühlte, an einem bambusähnlichen Rohr zu nagen bin ich sehr froh, diese außergewöhnliche und sehr süße Erfahrung gemacht zu haben.
Gerade in asiatischen Ländern zeigen sich jedoch auch immer wieder die Schattenseiten des Street Foods. Unter den Bedingungen, die der Verkauf auf offener Straße mit sich bringt, etwa hohe Temperaturen ohne Möglichkeit zur Kühlung, oder starke Sonneneinstrahlung, verlieren viele Lebensmittel ihre Frische und ihre Bekömmlichkeit. Bakterien können sich schnell vermehren und sorgen bei den unwissenden Kunden für Magen-Darm-Beschwerden bis hin zu Vergiftungen, etwa mit Salmonellen. Street Food- Lebensmittel auf Reisen wie zuhause sind daher stets mit Vorsicht zu genießen. Einige einfache Tipps können jedoch schützen und verhindern, dass sich der Rest der Reise zwischen Bett und Toilette abspielen wird.
Ein Bogen sollte beispielsweise um Lebensmittel gemacht werden, die rohe Eier enthalten. Hier ist die Gefahr einer Kontaminierung mit Salmonellen hoch. Weitere No-Go's sind Soft- und Wassereis-Speisen sowie nicht durchgebratenes Hühnerfleisch. Prinzipiell orientiert man sich am besten an Ständen, die von vielen Menschen, insbesondere Einheimischen, angesteuert werden. Zum einen besitzen die Einheimischen einen hohen Kenntnisstand über die verschiedenen Anbieter und wissen wohl möglich aus Erfahrung, wo sie auf der sicheren Seite sind. Zum anderen sorgt ein großer Andrang an einem Stand auch dafür, dass die Lebensmittel nicht in Gefahr laufen, zu lange liegen zu bleiben und dabei schlecht zu werden. Ansonsten hilft auch diese Regel immer weiter: cook it, peal it – or leave it.
Ich will selbst noch einmal das Flair von Street Food spüren – und vor allem schmecken. Deswegen mache ich den Selbsttest: ich besuche das Street Life in Sigmaringen. Nach einem Street Food Festival im Jahr 2017 wird auf dem Festplatz bei der Stadthalle 2018 erstmals ein umfangreiches Programm angeboten. Drei Tage lang gibt es auf der großen Bühne Veranstaltungen wie Modeschaus, Umstyling-Shows und Tänze. Direkt daneben bieten ein großes Barzelt und eine Shisha-Lounge Entspannung pur. Highlights sind aber die zahllosen Essensstände, die aus allen Richtungen angereist sind.
Neben schwäbischen Gerichten entdecke ich einen Italiener, einen rein mexikanischen Wagen, ein Stand mit Dessert-Spezialitäten aus Ungarn und einen Schokoladen-Döner – um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Für Menschen wie mich, die sich schon bei der alles andere als üppigen Auswahl unserer Schulmensa schwertun, gestaltet sich die Entscheidung für eine einzige Mahlzeit außerordentlich schwierig. Am liebsten würde ich von der vegetarischen Quesadilla über den mit Schokolade gefüllten Palatschinken alles probieren, aber dafür sind die Preise eindeutig zu hoch. Über fünf Euro für ein kleines Gericht auszugeben tut weh – aber es lohnt sich. Besonders beeindruckend ist die Freundlichkeit, mit der die Verkäufer ihren Kunden begegnen. Schon von weitem ist erkennbar, wie gerne sie ihren Job machen.
Für Street Food spricht außerdem die Flexibilität, die die direkte Zubereitung mit sich bringt. Auf meiner vegetarischen Quesadilla wären laut Speisekarte eigentlich Zwiebeln, aber auf meine Bitte hin werden diese kurzerhand weggelassen und ich kann meinen Wrap in vollen Zügen genießen.
Von der Bühne her klingt leise Musik und meine Freunde und ich genießen den Abend. Wir sind spät auf – aber dank Street Food dieses Mal ganz ohne knurrenden Magen
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Nachteule-Tabitha