Hab Ihr euch schon einmal gefragt, wieso Ihr wirklich spät auf seid? Wieso Ihr nicht einfach um etwa einundzwanzig Uhr sagt: „Jetzt wäre doch der richtige Zeitpunkt, mich ins Bett zu legen“? Besonders wenn am nächsten Morgen früh der Wecker klingelt, erhält man plötzlich den Eindruck, das menschliche Dasein würde nichts Schöneres bereithalten als der Moment, in dem man sich sorglos und ohne einen klingelnden Wecker, einen ungeduldigen Lehrer oder eine wartende Arbeit schlafen legen darf. Seltsam nur, dass einem diese Gedanken abends, wenn man am ehesten die Möglichkeit hätte, höchst selten kommen.
Stattdessen erledigt man die Hausaufgaben und Haushaltstätigkeiten, die bis zu später Stunde erfolgreich aufgeschoben wurden, plötzlich mit der doppelten Motivation und Geschwindigkeit, als es noch bei Tageslicht der Fall gewesen wäre. Was uns selbst schlichtweg blödsinnig und dennoch unvermeidbar erscheint, bezeichnen Experten als sogenannte „Bedtime Procrastination“, als das Hinauszögern des Schlafengehens also.
Forscher der Universität Utrecht haben sich intensiv damit beschäftigt, welche Angewohnheiten Menschen über den Tag hinweg, vor allem aber bei Einbruch der Dunkelheit haben, und wie diese mit ihren ebenfalls angegebenen Charaktereigenschaften zusammenhängen. 177 Menschen gaben im Rahmen einer Studie Auskunft über ihre demographischen Eigenschaften, ihre Schlafgewohnheiten und Lebensweise. In der Auswertungsphase ergab sich deutlich, dass besonders Menschen, die sich als wenig selbstdiszipliniert bezeichneten, das Schlafengehen bis in die späte Nacht herauszögerten. Die Folge: Schlafmangel, der kurzfristig zu exzessivem Gähnen, langfristig aber zu ernsthaften gesundheitlichen Folgen führen kann. Nie wieder spät auf sein also?
Vermutlich kommt es eher darauf an, nur so lange spät auf zu sein, wie man es auch wirklich selbst will. In der Lage zu sein, zwischen dringenden Erledigungen und Tätigkeiten zu unterscheiden, bei denen gilt: „Was du heute kannst besorgen, das verschiebst du ganz entspannt auf morgen“ – wie es auch die Band Glasperlenspiel in ihrem Song Geiles Leben anschaulich beschreibt.
Häufig sind es aber keine wichtigen Erledigungen, die uns abhalten, sondern viel mehr unser Smartphone, wie auch die Studien zur Bedtime Procrastination offenbarten. Dies erklärt auch, dass die Bedtime Procrastination als ein eher modernes, neuartiges Phänomen bezeichnet wird. Ehe das Licht endgültig ausgeht, verstreichen häufig noch ein bis zwei Stunden in Social Media. Gerade abends entstehen über WhatsApp meistens die besseren Gespräche, weil alle Menschen Feierabend haben und sich Zeit dafür nehmen, miteinander zu kommunizieren. Gar nicht so einfach, da schnellstmöglich an den Punkt zu gelangen, an dem man das Handy kurzerhand ausschaltet. Aber ab wann kann man von einer Sucht sprechen, die Einfluss auf das gesamte Leben eines Betroffenen nimmt?
Grundsätzlich kann die Benutzung eines Smartphones ähnliche Wirkungen haben wie andere Genussmittel oder etwa Glücksspiele. Der Informatiker Alexander Markowetz von der Universität Bonn beschreibt den Griff zum Smartphone als eine Art Überraschungseffekt, der mit geringem Aufwand erreicht werden kann. Während wir uns durch Netzwerke wie Instagram oder Facebook scrollen sind wir stets gespannt auf neue Beiträge, von Freunden ebenso wie von Stars, die uns beeindrucken, unterhalten – oder eben überraschen. Auch Nachrichten, die uns persönlich erreichen, stellen solche Überraschungen dar. So kann bereits der Ton oder die Vibration, die den Eingang einer Nachricht signalisiert, dafür sorgen, dass sich unsere Gefühlslage verändert. Der menschliche Körper reagiert auf derartige Einflüsse nämlich, indem es das Glückshormon Dopamin ausschüttet. Derartige Phänomene dürften keinem Smartphone-Besitzer unbekannt sein, dennoch führt dieser Mechanismus nicht zwangsläufig zu einer ernstzunehmenden Sucht. Vielmehr bestimmen Risikofaktoren, ob ein Mensch wirklich an einer Sucht erkrankt – unabhängig davon um welches Suchtmittel es sich handelt.
Viele Menschen benutzen ihr Smartphone dann, wenn es sich ergibt und die Zeit es hergibt – naja, oder wenn man alleine in der Öffentlichkeit steht und mit dem Handy in der Hand und einem geschäftigen Blick zeigen will, dass man in der virtuellen beziehungsweise digitalen Welt nicht halb so einsam ist wie es in der realen Situation gerade erscheint. Bedenklich wird eine Handynutzung aber eher dann, wenn dafür andere, angenehme Tätigkeiten unterbrochen oder gar nicht erst begonnen werden. Wer also die Benutzung des Smartphones über alles andere stellt, was der Tag einem bietet oder zwangsläufig von einem fordert, sollte sich eventuell Gedanken machen und sein Verhältnis zum Smartphone hinterfragen. Selbiges gilt, wenn das Sinken des Akkustands nicht mit einem genervten Augenverdrehen und einem unauffälligen Blick nach der nächsten Steckdose, sondern mit einer starken Angstwelle quittiert wird. Wer einen kritischen Wert an Stunden Online überschreitet, bemerkt dies auch an abnehmender Konzentrations- und Leistungsfähigkeit. Schüler bekommen hier praktischerweise eine direkte Rückmeldung auf einer Skala von 1 bis 6. Soweit, dass die gesamte reelle Außenwelt aus dem Fokus tritt und man sich fühlt, als wäre das Internet der Hauptbestandteil des eigenen Lebens, muss es nicht kommen.
Und viel mehr, als eine Sucht zu verhindern, wollen Menschen auch einfach wieder einmal mehr auf die Reihe bekommen, ohne dass ständig das Smartphone dazwischenfunkt. Besonders in den langen, kräftezehrenden und äußerst langweiligen Wochen meiner Abitur-Lernphase habe ich gemerkt, dass das Smartphone auf dem Schreibtisch neben mir in diesem Fall leider eher mein Feind ist als mein Freund. Zumindest will es mich von den bösen Matheformeln und Gesteinskreislauf-Schemata bewahren, indem es mich immer wieder lockt: sieh dir doch lieber die vielen schönen Instagram-Bilder an!
Wer damit Schluss machen will, findet ausgerechnet IM Handy Hilfe, genauer gesagt im AppStore. Neben vielen Apps, die die am Handy verbrachte Zeit aufzeichnen, Warntöne von sich geben oder automatisch die Internetzeit einschränken, hat mich vor allem folgendes Konzept überzeugt: Bäume pflanzen. Die App „Stay Focused“ im Google Playstore beziehungsweise „Tick“ im Apple Store beschert dem User eine virtuelle leere Wiese. Diese kann er mit Bäumen bepflanzen, indem er für eine bestimmte Zeit auf sein Smartphone verzichtet, und dem zarten Pflänzchen so Zeit zum Wachsen gibt. Die Zeitspanne, in der neben der „Stay Focused“-App automatisch keine weitere Applikation ausgeführt werden kann (es sei denn man vermerkt in den Einstellungen der App eine Art „White list“) kann manuell ausgewählt werden.
Auf den ersten Blick mag es blödsinnig erscheinen – aber das Pflanzen der Bäume kann schnell den Ehrgeiz des Users wecken. Statistiken zeigen anhand von Balkendiagrammen die produktiv genutzte Zeit eines Tages, zusätzlich zu dem Baum gewinnt man an Coins, die man dann im „Shop“ dafür einsetzen kann, sich schicke Accessoirs wie Baumhäuser oder Blütenblätter zu kaufen. Je dichter der Wald, desto höher die Konzentration also.
Für wen diese Maßnahme nicht ausreicht, wurde bereits sogenannte Fake-Handys entwickelt, also Klötze, etwa aus Holz, welche dieselbe Form wie ein Smartphone haben. Manche Menschen fühlen sich damit wohler und der nervöse Griff zur Hosentasche alle fünf Minuten bleibt aus.
Inwiefern Holzklötze und Bäume dazu beitragen können, abends früher schlafen zu gehen, muss wohl ein jeder für sich selbst herausfinden. Bis dahin, bleibt es dabei: wir sind spät auf. Solange wir neben dem Scrollen auf dem Handy aber die Schönheit dieser Stunden noch nicht komplett aus den Augen verloren haben, dürften wir uns nicht allzu große Sorgen machen müssen.
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Nachteule-Tabitha