„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, sagte einst Hermann Hesse und sollte damit Recht behalten.
Ich bin spätauf. Denn wer kennt es nicht, das Gefühl, wenn ein neues Kapitel begonnen oder gar ein neues Buch aufgeschlagen wird? Die Mischung aus Aufregung und Euphorie, die jeden noch so schweren Einstieg leichter macht, dürfte keinem unbekannt sein. Doch oft ist auch das Gegenteil der Fall: wenn eine Zeit endet und ein neuer Abschnitt beginnt, kann man schnell Angst bekommen. Neue Herausforderungen und Risiken- nichts was uns mal geleitet und ausgemacht hat ist mehr da. Wenn wir uns ganz auf unsere eigenen Fähigkeiten und unseren Mut verlassen müssen – wo bleibt die Sicherheit? Wo bleibt der Zauber des Beginns?
Jahr für Jahr beginnt am 01. September für zahllose junge Menschen in Deutschland das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ). Eine Möglichkeit für Jugendliche, die Zukunft zu bedenken und sich selbst, die eigenen Ziele und Kompetenzen besser kennenzulernen. Auch soziale Einrichtungen profitieren: mit den jährlich wechselnden FSJ-lern wird dem Fachkräftemangel gegengesteuert. Andere starten nach dem Sommer in ihre Ausbildung, wieder andere studieren, oft fernab von Zuhause.
Für die Schüler ist es im Grunde genommen „nur“ ein neues Schuljahr, in dem sich eigentlich lediglich die Unterrichtsthemen und einige Lehrer verändern. Das Umfeld bleibt gleich – wieso liegt man trotzdem am Sonntagabend im Bett und kann nicht schlafen vor Aufregung? Für mich beginnt dieses Jahr die Kursstufe. Die letzten Jahre in der Schule – doch die Struktur verändert sich bereits jetzt Stück für Stück. Statt Klassen besucht man verschiedene Kurse, anstelle von den Noten 1-6 zeigen Punkte meine Leistung an, und „mal eben eine Klausur verhauen“ geht eigentlich auch nicht, weil praktisch jeder einzelne Punkt fürs Abitur zählt. Wie soll man da bitte keine Angst haben? Es geht um vieles, egal ob in der Schule, im Freiwilligen Sozialen Jahr oder bei Ausbildung und Studium.
Unabhängig von den anstehenden Plänen ist es wohl immer ein Sprung ins kalte Wasser, ein Weg ins Ungewisse. Wenn wir etwas beginnen, wollen wir es möglichst gut machen. Wer setzt schon gerne die allererste Klassenarbeit, die erste Aufgabe oder das erste Kundengespräch in den Sand? Vermutlich kommt hier die Euphorie ins Spiel.
Sagt mir bitte nicht, dass ich die Einzige bin, die in der ersten Schulwoche, oder zumindest am ersten Tag, noch richtig Spaß hat. Je länger man etwas nicht hatte, desto mehr freut man sich darauf, es wieder erleben zu dürfen. Sechseinhalb Wochen Ferien reichen aus, um die erste Woche mit den Freunden, den Unterrichtsstunden und den Pausen in vollen Zügen genießen zu können, für mich zumindest. Unsere Zufriedenheit lebt von Abwechslung, es ist schön, Ferien zu haben aber ganz ohne Schule könnten wir sie auch nicht schätzen. Ich rede wie ein 80-jähriger Moralapostel, aber es ist doch irgendwie wirklich so, oder?
Ortswechsel, oder besser: Zeitwechsel. Im Sommerurlaub 2014 hatte ich die – wie ich fand – zündende Idee für einen Roman, genauer gesagt meinen ersten eigenen Roman. Ich habe ungefähr zwei Tage mit mir gekämpft, dann wurde mir klar dass ich praktisch gar keine andere Wahl habe, als die Idee umzusetzen. Sie hat mich einfach zu sehr gequält und außerdem nächtelang wachgehalten.
Mit klopfendem Herzen habe ich meinen Füller aufgeschraubt, die Feder angesetzt und losgeschrieben. Und obwohl das jetzt zwei Jahre her ist, kann ich mich an diesen Moment immer noch so genau erinnern. Und daran, wie ich den Rest des Urlaubs nur noch geschrieben habe. Einzelne, nicht zusammenhängende Kapitel, die sich nach und nach zu einem sinnvollen Plot zusammengefügt haben. Ich war wirklich so euphorisch, und ich bin froh dass ich die Zeit hatte, diese Euphorie auszunutzen. Denn ich glaube genau darum geht es. Die Euphorie und Freude, die man am Anfang von etwas hat, einzufangen und umzuwandeln in schier grenzenlose Energie und Tatendrang.
Was auch immer diesen „Zauber des Anfangs“, den schon Hermann Hesse kannte, veranlasst oder verursacht: es ist doch wirklich verdammt praktisch. Mir hat die Anfangs-Freude die ersten 20 DIN-A 4 Seiten beschert- heute sind es 155. Ich hätte total mutlos sein müssen am Anfang, aber das war ich nicht.
So stelle ich mir das auch zum Beispiel bei einem Auslandsjahr vor: der normale Menschenverstand müsste doch durchdrehen, wenn man plötzlich für die nächsten 365 Tage irgendwo in Amerika sitzt. Aber oft geht die erste Zeit so schnell vorbei, dass man sich eingelebt hat ehe man überhaupt darüber nachdenken kann. So kann ich das leider nur vermuten, denn leider habe ich kein Auslandsjahr gemacht. Kann das jemand bestätigen?
Jetzt, vor dem neuen Schul-, freiwiligen-, Studien- oder Ausbildungsjahr gilt es also, den Zauber bestmöglich einzufangen. Konzentrieren wir uns auf alles, worauf wir uns freuen. Versuchen wir, nicht zu viel nachzudenken über die Dinge, die vielleicht schief laufen könnten und sammeln wir die ganze Vorfreude in uns an. Denn dann könnte es vielleicht klappen: mit dem Zauber des Beginns.
Antwort auf: Direkt auf das Thema antworten
Nachteule-Tabitha