Es beginnt meistens spät auf. Während tagsüber das JETZT und die Menschen und der ganz normale Wahnsinn viel zu laut sind, bleibt nachts nur die Stille. Gedanken blitzen auf, Gerüche, Bilder. Eigentlich hätten wir alle Hände voll damit zu tun, die Eindrücke des hinter uns liegenden Tages ausführlich zu analysieren und einzuordnen, damit wir morgen eine neue Seite aufschlagen können, auf der alles noch weiß ist.
Liesel Memminger ist spät auf. In dem Keller, in dem sie die Nacht verbringt, ist es düster. Kein Licht dringt von oben hinein. Obwohl es dort unten kalt ist, denkt sie nicht im Traum daran, sich in ihrem Zimmer im ersten Stock schlafen zu legen. Die dicken Kellerwände scheinen nicht nur das Licht des Mondes und der Straßenlaterne draußen zu verschlucken, sondern auch den Krieg, der unbarmherzig wütet und dabei vor der kleinen Stadt Molching in der Nähe von München nicht Halt macht.
Für gewöhnlich ist das spät auf sein eine einsame Angelegenheit. Man könnte fast sagen, wenn ich nachts nicht schlafen kann ereilt mich manchmal der Eindruck, ich sei der einzige Mensch auf der Welt. Allzu beruhigend fand ich diesen Gedanken bisher nicht, aber heute bin ich an dem Punkt angekommen, an dem ich sage: ich wünschte, ich wäre der einzige Mensch hier!
Es gibt nur wenige Dinge im Leben, die so wichtig sind, dass sie uns nachts davon abhalten, uns unseren wohlverdienten Schlaf zu genehmigen. Diese Dinge können selbstverständlich nicht bis zum nächsten Morgen warten, nein, wir müssen uns auf der Stelle ausgiebig mit ihnen beschäftigen.
Daniel Krauss, André Schwämmlein und Jochen Engert sind spät auf. Sie hätten eigentlich alle Zeit der Welt, um zu schlafen, aber eine bestimmte Vision hindert sie daran. Die drei Jungs wollen unbedingt ein StartUp gründen.
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Noch zwei Schritte, ein Schritt, dann ist es geschafft. Schwer atmend sehe ich mich um, kann noch nicht vollständig begreifen, dass ich wirklich hier oben stehe. Auf dem höchsten Punkt der Insel und am Krater des aktivsten Vulkan Europas! Unter mir ist nur das weite Meer zu sehen, auf dem einzelne Schiffe ihre Linien ziehen und der untergehenden Sonne entgegen fahren.
Jean Walter ist spät auf. Es ist 1939, und seine Jugend liegt bereits einige Jahre zurück, aber er kann nicht aufhören, darüber nachzudenken. Erinnerungen kommen zurück in seinen Kopf. Wie er eines Tages aufbrach, um von Frankreich nach Istanbul zu fahren. Ganz alleine. Mit dem Fahrrad.
Nächtliche Schlaflosigkeit, davon bin ich überzeugt, macht vor niemandem Halt, erst recht nicht vor Menschen, deren Köpfe stets voll von hintergründigen Gedanken stecken. Es war irgendwann vor langer Zeit, etwa 400 bis 500 Jahre vor Christus, als in China ein Philosoph lebte, der lange nach seinem Tod und über Jahrtausende hinweg Beachtung finden sollte, dessen Ansichten und Erkenntnisse die Menschen bis ins 21. Jahrhundert begleiten und bewegen sollten.
Es ist zweiundzwanzig Uhr, als sich die Metrotüren vor mir öffnen. Sie spucken mich aus in einen Bahnhof, in dem es von Menschen nur so wimmelt. Italiener, Franzosen, Portugiesen und jede Menge Deutsche, ein Stimmgewirr, aus dem sich keine einzelnen Sätze entnehmen lassen. Die Wärme, die sich in dem unterirdischen Gebäude im Laufe des Tages angestaut hat, legt sich wie eine Decke auf meine Haut und treibt mir den Schweiß auf die Stirn. Immer noch.