Charlotte Zoller war über 30 Jahre lang Wanderführerin in Pfullendorf. Zudem engagierte sie sich in diversen Vereinen, wofür sie unter anderem im Jahr 2017 die goldenen Ehrenmedaille vom Bürgermeister überreicht bekam. Doch nicht nur als ortskundige Wanderführerin und Vereinsmensch machte sie Schlagzeilen, auch als Schriftstellerin erregte sie Aufmerksamkeit als 1993 ihr Buch "Unterwegs im oberen Linzgau" auf den Markt kam. Die 82-Jährige war im Gespräch mit blubbr.de.
blubbr.de: Sie sind ein Pfullendorfer Urgestein. Für was steht Pfullendorf?
Charlotte Zoller: Ja, ich bin ein Pfullendorfer Urgestein, mit einigen Abstechern zwar,
aber trotzdem die meiste Zeit meines Lebens in Pfullendorf beheimatet. Pfullendorf hat viele Vorzüge: Das Städtchen liegt in einer wunderschönen
Landschaft im Oberen Linzgau, umgeben von Wäldern und Feldern, Seen,
Hügeln und Moorlandschaften. Die Luft ist noch rein, zwar ein Kittel
kälter als am tiefer liegenden Bodensee.
blubbr.de: Sie waren bis ins vergangene Jahr Wanderführerin, insgesamt genau 30 Jahre. Was hat Ihnen dabei besonders Spaß gemacht?
Zoller: Als Wanderführerin hat mir in den 30 Jahren, in denen ich die
Mittwochswanderungen organisiert und begleitet habe, besonders Spaß
gemacht, dass ich selbst langjährig Einheimischen noch viel Neues in
unmittelbarer Nähe zeigen konnte. "Jedes Dörflein hat
eine Besonderheit, man muss sie nur entdecken", das war mein Spruch. Es
haben sich bei den Wanderungen Freundschaften entwickelt, die
nachhaltig gepflegt werden. Neubürger konnten bei einer gemeinsamen Tour
Kontakte knüpfen, Feriengäste sind von Jahr zu Jahr
immer wieder gerne einmal mitgewandert und haben sich gefreut, dass sie
von den Pfullendorfern unkompliziert aufgenommen und auch nach ein paar
Jahren immer noch erkannt wurden. Und in meinen 30 Jahren als Wanderführerin hab ich mich nur ein einziges Mal verlaufen, aber Gott sei dank fiel es niemandem auf.
blubbr.de: Was für eine Geschichte ist Ihnen rückblickend besonders in Erinnerung geblieben?
Zoller: Da gibt es viele. Einmal war ein Paar aus Nürnberg zu Gast in Pfullendorf. Sie wollten eigentlich abreisen doch hatten eine Autopanne also mussten sie gezwungenermaßen weiter in Pfullendorf aufschlagen. Sie gingen also zur Tourist-Info und sahen, dass eine Wandertour auf dem Programm stand, relativ schnell entschieden sie sich daran teilzunehmen. An diesem Tag hatte ich eine Wanderung zu einer Imkerei geplant. Dort angekommen lud uns der Imker zur Weinprobe seiner Honigweine ein und legte auch Fleisch auf den Grill. Die Stimmung war gut und der Honigwein setzte sich langsam in die Knie ab. Auf dem Rückweg konnte keiner mehr, geschafft von dem vielen Wein ließen wir uns ins Gras fallen. Ich musste einem Busunternehmen anrufen, das uns holen sollte. Ein Monat später ruften mich die Nürnberger an, sie wollen unbedingt wieder kommen und erneut zu der Imkerei wandern.
blubbr.de: Wie würden Sie die Entwicklung Pfullendorfs über die Jahre hinweg beschreiben?
Zoller: Die Entwicklung von Pfullendorf hat sich stetig positiv
fortgesetzt. Baugebiete sind entstanden, namhafte Industriebetriebe,
mittelständische Unternehmen, Handwerk und Dienstleistungsbetriebe haben
bieten Arbeitsplätze. Lukrative Angebote für Neuansiedlungen
im Wohn- und Industriebereich garantierenMöglichkeiten, diesen Trend
fortzusetzen. Die Bundeswehrkaserne trägt zur internationalen
Bekanntheit von Pfullendorf bei.Die medizinische Versorgung ist gut, wir haben Arztpraxen für
verschiedene Fachbereiche, ein Krankenhaus, das zu den SRH-Kliniken
gehört, Therapiepraxen, Kinderarzt.
Verkehrsmäßig hat sich durch die Einführung der Buslinie 500 von
Sigmaringen nach Überlingen im Stundentakt mit jeweils Zuganschlüssen in
alle Richtungen die Verkehrssituation deutlich verbessert. Die
Räuberbahn als Freizeitbahn zwischen Aulendorf und
Pfullendorf ergänzt das Angebot in der Sommersaison. Schulbusse bringen
die Schüler aus dem Einzugsgebiet an ihre Lernorte. Autobahnanschluss
bietet sich uns in Stockach.
blubbr.de: Was ist ihr Lieblingsplatz in Pfullendorf?
Zoller: Einen Lieblingsplatz in Pfullendorf habe ich nicht direkt. Mir
gefällt es auf dem Marktplatz zwischen den Fachwerkhäusern mit Blick auf
unseren schönen Kirchturm, der als Unikat bezeichnet wird. Historische
Gebäude bieten ein mittelalterliches Flair. Wir
liegen an der Oberschwäbischen Barockstraße und an der Deutschen
Fachwerkstraße, geschichtlich im Deiländereck zwischen den ehemaligen
Ländern Großherzogtum Baden/Königreich Württemberg/Fürstentum
Hohenzollern. Grenzsteine, ein Grenzsteinmuseum und diverse
Hinweise lassen diese Geschichtsepoche nachvollziehen.
blubbr.de: Sie sind Profi für den Pfullendorfer Dialekt, können sie ein paar Geschichten zu der Herkunft einiger Wörter erzählen?
Zoller: Der Pfullendorfer Dialekt zeichnet sich aus durch die ui-Laute: "nui nui, hot kuin kuin Stui?" (Nein nein, hat keiner keinen Stein? "hot kuin kuin Kamm?" (Doppelte Verneinung will sagen, dass keiner einen Stein hat, oder keiner einen Kamm besitzt)"I gang allui huim, und wenn d's it glaubscht goscht mit." Ich gehe alleine nach Hause und wenn du es nicht glaubst, dann gehst du halt mit.Die Dreiländereck-Lage ergibt, dass man schon ein paar Kilometer von der Kernstadt entfernt andere Laute vernehmen kann. In Mottschieß heißt "nui" it nein, sondern "noi", dort geht man wenn man heim will nicht huim, sondern hoim, und im hohenzollerischen Bereich goht me hom.
blubbr.de: Was hat die Stadt Ihrer Meinung nach zu bieten?
Zoller: Pfullendorf hat eine hervorragende Infrastruktur, besonders interessant
für junge Familien: Die Kinderbetreuungseinrichtungen bieten Platz für
unsere jüngsten Mitbürger und man kann von der ersten Grundschulklasse
bis zum Abitur die Schulen meist fußläufig
erreichen. Es gibt Jugendbetreuer, ein Jugendhaus, nur keine Disco und
kein Kino. In allen vier Himmelsrichtungen sind städtische Spielplätze
mit kontrollierten Spielgeräten und einen Skateboardplatz beim Stadion.
Wenn man von der aussterbenden Geschäftswelt in der Innenstadt absieht -
kein Pfullendorf bezogenes Phänomen - kann man in Zentrumsnähe alles
für den täglichen Bedarf bekommen.
Freizeitgestaltung bieten eine große Anzahl von lebendigen Vereinen, wir
haben ein super Fußballstadion mit hervorragend gepflegten
Trainingsplätzen, wir haben einen Flugplatz für Motor- und Segelflieger,
gut ausgestattete Turnhallen, eine große und ansprechende
Stadthalle für sportliche und kulturelle Veranstaltungen. Erholungsraum
bietet sich an vom idyllischen Seepark mit Wasserskianlage, Abenteuer-
und Fußballgolf zum Stadtsee, zum Stadtgarten und auf ausgeschilderten
Spazierwegen durch Fuchshalde und Tiefental,
in die umliegenden Wälder und in die Ausläufer des Rieds.
Ausgeschilderte Wander- und Radwege führen in die nähere und weitere
Umgebung.
Für Wasserratten bietet unser Waldfreibad mit unlängst renovierten
Schwimmbecken, Umkleiden, Duschen und Kiosk einen Anziehungspunkt, auch
im Seepark ist ein Schwimmbereich und eine Tauchschule.
Die Stadtbücherei bietet Print- und digitale Medien für jedes Alter.
Deutsche und internationale Gastronomien bieten Leckeres für den großen
und kleinen Hunger, Hotels werden von Reisegruppen und Privatreisenden
gerne gebucht. Auch Ferienwohnungen und ein Wohnmobilstellplatz laden
zum Verweilen in Pfullendorf ein. Nach Corona werden
die Festivitäten im großzügigen Gelände beim Seepark wieder in Fahrt
kommen.
Pfullendorf bietet kulturell Interessierten eine städtische Galerie, in
der namhafte Künstler sporadisch ihre Werke ausstellen, die Stadtmusik
spielt auf hohem Niveau, eine ganze Reihe von Musikangeboten in den
verschiedensten Stilrichtungen. Freischaffende
Künstler fühlen sich von der Atmosphäre angeregt und haben rund um
Pfullendorf ihre Wirkungsstätten aufgebaut.
Für Senioren steht ein umfängliches Angebot zur Verfügung, sei es von
Seiten der Stadt, der Kirchen und vom Netzwerk 50 Plus. Senioren
unterhalten ein Reparaturcafé, es gibt Begegnungsstätten und auch gut
geführte Seniorenheime, inkl. Tagespflegeeinrichtung,
Sozialstation und diversen Hilfsangeboten.
blubbr.de: Gibt es eine Anekdote über Pfullendorf, die sie besonders gerne erzählen?
Zoller: Do fallt mir etz grad kui uinzige ei. Es sei denn: Warum nennt man die Pfullendorfer "Stegstrecker?"
Geschichte der Narrenzunft Stegstrecker
Vor langer Zeit wollte Pfullendorf einen Steg über den Andelsbach bauen. Ein Meister nahm Maß und ging mit seinen Gesellen an die Arbeit.
Aber wie es zuweilen so geht, der Meister hatte neben seinem Augenmaß vielleicht ein Maß Wein zuviel genommen, oder aber die Gesellen zu wenig vom spitälischen Holz, oder es war sonst ein Unglück eingetreten. Kurzum: Der Steg reichte nicht zum anderen Ufer, er war zu kurz geraten. Die Schadenfreude war groß, guter Rat teuer. Ein findiger Kopf schlug unter anderem vor, den Steg im Wasser aufzuweichen und ihn danach durch zwei Ochsengespanne strecken zu lassen.
Gesagt, getan! Der Steg blieb kurz, sosehr sich die Ochsen auch anstrengten.In höchster Not wandte man sich an den Hohen Rat der Stadt Pfullendorf. In geheimer Sitzung fand er, wie immer, einen Ausweg, über den ausnahmsweise bis zum heutigen Tag nichts an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Jedenfalls begab sich der Hohe Rat alsbald an Ort und Stelle, nahm mit vereinten Kräften die Zugseile der beiderseits des Stegs schmählich versagenden Ochsen auf und siehe, das Wunder geschah: Der Steg streckte sich und verband Ufer mit Ufer. Jedermann war zufrieden. Seitdem heißen die Pfullendorfer „Stegstrecker“.
Moral:
Mit Ochsen kann man keine Brücke bauen,
dazu bedarf´s der Klugen und Schlauen,
mit denen stets ein hoher Rat sich ziert,
sein wesentliches Ziel er nicht verliert.
Jedwelchen Graben überwinden,
und immer einen Ausweg finden,
vereint in Güte, Anstand, Kraft,
zum Nutzen seiner Bürgerschaft
Das Buch "Unterwegs im oberen Linzgau" gibt es unter anderem hier zu erwerben: https://www.booklooker.de/B%C3%BCcher/Angebote/titel=Unterwegs+im+oberen+Linzgau
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