Die Seefahrer auf der „Perle der Nordsee“ sind spät auf. Auch wenn sie sich insgeheim danach sehnen, an Schlaf ist momentan überhaupt nicht zu denken. Zu wild ist die See, auf der sie sich bewegen, zu unruhig der Kapitän, der seit zehn Minuten ununterbrochen aus dem trüben Bullauge sieht und langsam den Kopf schüttelt, obwohl dort doch überhaupt nichts zu sehen ist.
Er ist so groß, dass der US-amerikanische Bundesstaat zwei Mal darin Platz hätte. Er hatte 60 Jahre Zeit, um zu wachsen, immer neue Bestandteile in seinen Sog aufzunehmen, und wenn es weitergeht wie bisher, wird er so schnell nicht mehr damit aufhören. Es ist ein Katastrophenfeld aus Plastik, ein Strudel aus sich umeinanderdrehenden Müllpartikeln mitten in einem unserer Weltmeere.
Ich bin so gerne spät auf. Wenn die Tage wieder länger werden und die Straßen auch abends noch die Wärme der Sonne abgeben, wenn viele Verabredungen erst ab 20 Uhr und im Freien stattfinden, weil es endlich wieder länger hell ist und das Gelächter von dir und deinen Freunden das Sirren der Grillen und die Musik im Hintergrund fast übertönt – was könnte es schöneres geben?
Hugo war spät auf. Jana war spät auf. Theresa und Thomas waren spät auf. Charly war spät auf. Sie alle haben sie erlebt, die knisternde Spannung, die man fühlt, wenn man nicht zwischen den eigenen vier Wänden und unter dem eigenen Dach über dem Kopf einschläft, sondern weit weg auf einer Reise.
Nur einmal angenommen, du würdest gerade nicht gemütlich in deinem Bett liegen oder heimlich unter der Schulbank im Internet scrollen. Stell dir nur einmal vor, du wärst stattdessen unterwegs in einer fremden Stadt und wohlmöglich sogar in einem anderen Land, und würdest spät auf nach einer Unterkunft für die Nacht suchen.
Hab Ihr euch schon einmal gefragt, wieso Ihr wirklich spät auf seid? Wieso Ihr nicht einfach um etwa einundzwanzig Uhr sagt: „Jetzt wäre doch der richtige Zeitpunkt, mich ins Bett zu legen“? Besonders wenn am nächsten Morgen früh der Wecker klingelt, erhält man plötzlich den Eindruck, das menschliche Dasein würde nichts Schöneres bereithalten als der Moment, in dem man sich sorglos und ohne einen klingelnden Wecker, einen ungeduldigen Lehrer oder eine wartende Arbeit schlafen legen darf. Seltsam nur, dass einem diese Gedanken abends, wenn man am ehesten die Möglichkeit hätte, höchst selten kommen.
Cetin Tasdemir ist spät auf. Vielleicht halten ihn die Lichter wach, die durch die geschlossenen Vorhänge ins dunkle Zimmer tanzen und wieder verblassen, sobald das Auto unten auf der Straße um die nächste Ecke biegt, vielleicht auch die Geräusche, die es dabei macht. Berlin ist eine Stadt, die nicht schläft – genauso wenig wie die Gedanken von Cetin Tasdemir.
Daniel Krauss, André Schwämmlein und Jochen Engert sind spät auf. Sie hätten eigentlich alle Zeit der Welt, um zu schlafen, aber eine bestimmte Vision hindert sie daran. Die drei Jungs wollen unbedingt ein StartUp gründen.
Noch zwei Schritte, ein Schritt, dann ist es geschafft. Schwer atmend sehe ich mich um, kann noch nicht vollständig begreifen, dass ich wirklich hier oben stehe. Auf dem höchsten Punkt der Insel und am Krater des aktivsten Vulkan Europas! Unter mir ist nur das weite Meer zu sehen, auf dem einzelne Schiffe ihre Linien ziehen und der untergehenden Sonne entgegen fahren.
Es gab einst einen Mann, der so weise war, dass er es bis zum Philosophen und zum Kaiser gebracht hatte – damals im alten Rom. Von ihm stammen Sätze wie: „Das Glück deines Lebens hängt von der Beschaffenheit deiner Gedanken ab“. Womit er sicher recht hat. Insbesondere hatte er einmal so oder vielleicht so ähnlich gesagt: „Am Ende seines Lebens bereut man nie, was man getan, sondern immer, was man nicht getan hat.“
Wenn ich zurück denke, erinnere ich mich an viele Abende meines Lebens, an denen ich deshalb spät auf war, weil mein Magen zu laut knurrte, um dabei einschlafen zu können. Das passierte immer dann, wenn ich zuvor auf irgendeiner Grillparty gewesen bin, bei der die Auswahl an Essen für mich nicht allzu groß war.
Heute bin ich das Gegenteil von spät auf. So gerne ich es wäre, die Sehnsucht nach Schlaf, die Erschöpfung und die Müdigkeit überwiegen deutlich, und das hat einen Grund. In den letzten 6 Tagen habe ich mein warmes Bett, das große Zimmer und die Schule eingetauscht gegen die freie Natur und einen Zeltplatz mitten darin. In diesen fünf Nächten habe ich zusammengezählt etwa zehn Stunden geschlafen und war von der Wärmeflasche nahezu abhängig.
Ich bin spät auf. In meinem Bett drehe ich mich hin und her und versuche, endlich einzuschlafen. Vergeblich. In meinen Gedanken bin ich hellwach, stehe auf einer kleinen Piazza direkt am Hafen. Eine Straßenlaterne verströmt gelbes, warmes Licht und das Getöse der an den Landungssteg reibenden Wellen wird von dem Gitarrenspiel und dem Gesang einer sizilianischen Straßenband übertönt.
Spät auf lassen sie sich leider kaum verhindern: die Gedanken an den nächsten Tag. Der sich unter Umständen wieder genauso stressig gestalten könnte wie der vergangene. Im Alltag bleibt oft nichts anderes übrig, als sich den Verpflichtungen und Gewohnheiten hinzugeben und zu funktionieren. Eine dauerhafte, tiefgreifende Zufriedenheit bleibt dabei nicht selten auf der Strecke.
Es gibt einige Dinge, die längst Vergangenheit sind und uns dennoch noch nachts aufschrecken lassen. Alpträume bereiten mir beispielsweise nach wie vor die Kopfrechen-Tests in Klasse 4, die mein Mathelehrer von damals mit viel Leidenschaft und hoher Motivation die Häufigkeit betreffend praktizierte. Der Deutschunterricht dagegen stellte für mich meist kein großes Problem dar, während andere bis heute mit einem Stöhnen daran zurückdenken, wie wir in stundenlanger Kleinarbeit das Schreiben lernen mussten.
Vor einer Woche ging es hier bei Spätauf schon einmal darum: Lebensmittelverschwendung, ihre Folgen und was foodsharing dagegen unternimmt. Ertappt ihr euch seit diesem Bericht oder schon länger auch manchmal dabei, spät auf noch über dieses Problem zu grübeln?
Die Designstudenten Thomas Gening und Christian Zehnter. Fernsehjournalistin Ines Rainer. Programmierer Raphael Wintrich. Regisseur Valentin Thurn, Social-Media Leiter Sebastian Engbrocks und Aktivist Raphael Fellmer. Sie alle haben eines gemeinsam: sie sind spät auf. Und wo so viele kreative Köpfe das zur selben Zeit sind, kann nur etwas Gutes entstehen. Ist es auch.
Spät auf kann es mitunter ganz schön einsam werden. Insbesondere, wenn man sich auf einem um diese Zeit selbstverständlich menschenleeren Marktplatz befindet und nur den Flocken zusehen kann, die im Licht der Straßenlaternen auf die Erde tummeln.
Emma ist spätauf. Inoffiziell und klammheimlich natürlich, denn äußerlich sieht sie aus wie jedes andere fünfjährige, friedlich schlafende Mädchen auch.
Nachteule-Tabitha